Themenschwerpunkt Informationsethik – aus der Sicht einer Mitbegründerin der – inzwischen ruhenden - AG für Informationsethik
Die Fragen zur „Internet Governance“ und zur
Informationsethik, die noch vor wenigen Jahren auf den Weltgipfel-Konferenzen
der Informationsgesellschaft auf nationaler und internationaler Ebene –
gestellt wurden, sind nicht mehr relevant. Noch vor wenigen Jahren bestand eine
Art libertärer Konsens innerhalb der
losen Allianz von Firmen, NGOs (zu denen auch Bibliotheken gehörten) und
Ingenieuren, die Staatsvertretern und Telecoms gegenüberstanden.
Das Web 2.0 – das übrigens schon wieder vorbei ist – lässt sich einfach bedienen,
Die Lichtgeschwindigkeit, nach deren Limit sich die Informationsflüsse des Internets richten, führten zu „Reglosigkeit“, schreibt Lovink. Weder bleibe jemandem die Zeit, zu reflektieren, noch sei Reflexion in der Struktur der Datenströme vorgesehen. Die Computer schreiben die Geschichte der Gesellschaft heute in Echtzeit - Erzählungen und Narrative und damit die Vermittlung verbindlicher Werte seien dadurch verschwunden.
Ende der 90er hat es eine Art Netzavantgarde gegeben, Leute mit Visionen und der Hoffnung auf die Bildung neuer globaler übernationaler Kulturen. Es gab Manifeste nach Art des kommunistischen Manifests, in denen Werte und Handlungslinien festgeschrieben wurden, wie das Linux Manifest, Open Access Manifesto (Aaron Swartz) und Manifeste zu Open Source, Open Content, Open Education und Open Government.
Stattdessen kam es nach dem 11.9.01 zum Einfluss der Nationalstaaten, der sich in den letzten Jahren ständig ausgeweitet hat und die Gefahr breitflächiger Überwachung bringt.
Inzwischen sind überall „National Webs“ im Aufbau.
Seit ihrem Entstehen hat der Medientheoretiker Geert Lovink die Utopien begleitet, die der Entwicklung des Internets den Weg weisen sollten. Heute erscheint ihm die Avantgarde, die damals aufbrach, zerstreut und zerrieben. Wer kann noch die Meinungsführerschaft über das Netz beanspruchen?
Es gebe im Internet kein gemeinsames Ziel mehr, jeder gehe seiner eigenen Wege. Ein Jahrzehnt nach ihrem Auftauchen und ihrer rapiden Ausbreitung sei die Internetkultur zwischen widerstrebenden Kräften zerrissen. Wer darf sich heute zur Netzavantgarde berufen fühlen?
Google, z.B., die multinationale Firma, die wirtschaftliche Situation, Leben und Arbeiten z.B. auch an der Nationalbibliothek bestimmt, sowie deren Selbstverständnis und Darstellung als kulturelle Institution, Google als multinationaler Konzern und als gesellschaftsverändernde Kraft, wurde noch gar nicht soziologisch untersucht und in den Auswirkungen auf die nationalen Kulturen durchleuchtet.
Zitiert aus
http://bit.ly/1pPvbs2 informationsfreiheit schwindet – falter 2014
Damals – also noch vor 5-7 Jahren, glaubte man
(ich auch), dass das Internet mit seiner offenen, flachen Netzwerkstruktur und
den Möglichkeiten einer zeitgleichen Viele-mit-Vielen-Kommunikation die alten,
den neuen Medien nicht mehr gerechten,
rostigen Institutionen der repräsentativen Demokratie erschüttern und
erneuern würde. Man glaubte an die Möglichkeit eines demokratischen öffentlichen
Diskurses, partizipatorische Nachrichten-Foren und wollte dabei sein bei der
Errichtung einer Front der freien Rede und des freien Diskurses.
Herausgekommen sind monopolistische „Soziale
Netzwerke“ wie Facebook, Google Plus und Twitter, in denen der Diskurs
lediglich der Selbstdarstellung von vielen dient und auch wenn nicht, er keine
politische Macht hat. Gruppen von Gleichgesinnten finden sich zusammen in
„Echo-Kammern“ – abgeschlossenen Online-Umgebungen – innerhalb derer sie sich
gegenseitig bestätigen. Keine Rede von Diskurs. Es gibt die Bandbreite von
„like“ über Beschimpfungen bis zu strengen Maßregelungen und Ausschlüssen.
Obwohl Firmen und Betriebe, Regierungen,
traditionelle Wissensinstitutionen ihre Arbeitsabläufe in den letzten Jahren
drastisch verändert haben, - die Vorgänge auf deren Entscheidungsebenen aber
bleiben in den alten hierarchischen Organisationsstrukturen gefangen.
D.h. im Falle unserer Arbeitsumgebungen, den
Bibliotheken: wir sitzen durchgehend vor dem Bildschirm, arbeiten im Internet,
die menschlichen Kontakte verlagern sich ins Internet, Fragen und Auskünfte
passen sich der Software und deren Möglichkeiten an, Kataloge und komplexe
Metadaten gehen verloren, weil ihre von Technikern bestimmte Darstellungsweise
nach der Logik der Suchmaschine Informationen einfach wegreduziert.
Die Entscheidungen über die Arbeitsabläufe,
die Investitionen, die Personalfragen, die Etablierung und Beurteilung des
Nutzens welcher Software und welcher Projekte und Programme werden aber von
denselben Menschen auf dieselbe unnachvollziehbare Weise getroffen, wie vor 20 Jahren
und dieselbe Denkweise steht dahinter, wie im hierarchisch geprägten Denken und
Arbeiten vor 20 Jahren.
Im Augenblick, wo von Entscheidungsträgern
verlangt wird, ihr Denken auf die neuen Möglichkeiten abzustimmen, wird umso
fester an den aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts stammenden Begriffen und
Regelungen festgehalten und versucht, das globale Internet unbedingt den alten Vorstellungen
von Urheberrecht und copyright, geistigem Eigentum und Vervielfältigung,
nationaler Gesetzgebung, Datenschutz, Sicherheit und Identität unterzuordnen.
An der Legitimität von
Entscheidungs-Hierarchien und dem Mangel an offener Auseinandersetzung rüttelt
das Internet sicher nicht.
Lehrer, Eltern, Journalisten, Prominente – und
eben auch kleine Gruppen von BibliothekarInnen - können viel übers Internet sagen,
wenn der Tag lang ist, aber niemand kümmert sich darum. Was tatsächlich in
Internet-Foren diskutiert wird und in Peer-to-Peer-Netzwerken ausgetauscht
wird, scheint in solchen Verlautbarungen genau so wenig auf, wie sie Wirkung
auf die Entscheidungen in Politik und in den Betrieben haben. Diese Gruppen
haben keinen Kontakt untereinander, obwohl sie vielleicht ähnliche Interessen
verfolgen oder ähnliche Konzepte erarbeiten.
Netzräume sind Ereignisse ohne Verpflichtung
(G. Lovink) – man kann sich (zusammen mit Habermas) Moral und Ethik für eine
Welt, wie sie funktionieren sollte, wünschen, eine erarbeiten und auch soweit
möglich, ihr selber folgen – aber man wird die komplexen Prozesse der
unerwarteten Konfigurationen, die aus dem Nichts kommen, nach oben schießen und
spurlos verschwinden, nicht beeinflussen – und genausowenig die
Entscheidungs-Hierarchien in den einzelnen Institutionen, die schon längst,
zumindest aber seit den Ausgliederungen in die Autonomie, nicht mehr gemeinsame
Interessen verfolgen und sich gegenseitig sogar konkurrieren, - zu gemeinsamen
ethischen Leitlinien verpflichten.
Das Web 2.0 – das übrigens schon wieder vorbei ist – lässt sich einfach bedienen,
erleichtert den sozialen Austausch und gibt
den Nutzern die Möglichkeit, eigene Produktionen ins Netz zu stellen. Anfangs
war es eine Spielwiese einiger Net Natives, jetzt ist es der ideale Raum für
Händler und Konsumenten, auch auf dem Gebiet der Informationsvermittlung. Da
inzwischen auch Religion und alle anderen Aktivitäten der geistigen Sphären
nach den Gesetzen der Wirtschaft funktionieren, wird das Web 2.0 auch für
Universitäten, Schulen, Bibliotheken usw. zur Selbstbewerbung und
Selbstdarstellung, sowie als Ort des Konsums genutzt, über den, wenn schon kaum
Kosten so doch persönliche, verwertbare Daten eingehoben werden. Weder Mitarbeiter
noch Nutzer registrieren, bzw. es ist ihnen egal, bzw. sie wissen nicht, was
dagegen tun, wie ihre unbezahlte Arbeit und ihr Online-Sozialleben als Profite,
die nicht mehr auf der Ebene der Produktion erschaffen werden, den Firmen, die
in dem Fall Bildungsinstitutionen heißen, aufgrund von Nutzerprofilen und
personalisierten Zugriffen, nützen.
Habermas hat das Internet noch als informelle
öffentliche Sphäre beschrieben – den Nachrichtenmedien untergeordnet. Heute ist
es eher umgekehrt – die Nachrichtenmedien sind sekundäre Quellen, kauen wieder,
was schon längst in Echtzeit gesendet wurde.
Das Soziale war noch vor kurzem in moralischen
Kategorien zu beschreiben, gab ein Bild von etwas Denkbarem wider: der
Gesellschaft.
Aber eine Gesellschaft (im Sinne von Marx,
Tönnies oder Weber) existiert nicht (mehr?) und das Soziale bewirkt kurz etwas
wie Einigkeit und gemeinsames Interesse, Zusammenfinden und Unterschriften
leisten – aber aus diesen kurzen, zufällig gemeinsamen Aktionen entstehen keine
Gruppen, die konsequent an Projekten arbeiten. Sie zerfallen genauso schnell,
wie sie sich gebildet haben. Und Netzwerke, die sich selbst die Idee kleiner Fragmente von Öffentlichkeit
erschaffen, zur gegenseitigen Bestätigung ihrer von Tag zu Tag wechselnden
Interessen, sind lediglich Zeitfresser.
Wenn jeder sendet, hört keiner zu. (Andrew
Keen)
Das Medium ist nicht nur die Message. Das
Medium ist der Geist. Es bestimmt, was wir sehen und wie wir es sehen.
(Nicholas Carr)
Eine umfassende Kritik der neuen Wissens- und
Informations-Kulturen gibt es noch nirgends und sie ist auch nur im Ansatz im
Entstehen, weil sie zum einen anscheinend gar nicht vermisst wird und zum
anderen die neuen und schnell wechselnden Kulturen nicht erfasst oder
reflektiert werden.
In den klassichen Orten der Kritik - auf
Bühnen, in Zeitungen und bei Diskussionen – wird kaum bzw. immer weniger über
die neuesten Entwicklungen der Internet-Kultur debattiert.
Die Lichtgeschwindigkeit, nach deren Limit sich die Informationsflüsse des Internets richten, führten zu „Reglosigkeit“, schreibt Lovink. Weder bleibe jemandem die Zeit, zu reflektieren, noch sei Reflexion in der Struktur der Datenströme vorgesehen. Die Computer schreiben die Geschichte der Gesellschaft heute in Echtzeit - Erzählungen und Narrative und damit die Vermittlung verbindlicher Werte seien dadurch verschwunden.
Ende der 90er hat es eine Art Netzavantgarde gegeben, Leute mit Visionen und der Hoffnung auf die Bildung neuer globaler übernationaler Kulturen. Es gab Manifeste nach Art des kommunistischen Manifests, in denen Werte und Handlungslinien festgeschrieben wurden, wie das Linux Manifest, Open Access Manifesto (Aaron Swartz) und Manifeste zu Open Source, Open Content, Open Education und Open Government.
Stattdessen kam es nach dem 11.9.01 zum Einfluss der Nationalstaaten, der sich in den letzten Jahren ständig ausgeweitet hat und die Gefahr breitflächiger Überwachung bringt.
Inzwischen sind überall „National Webs“ im Aufbau.
Seit ihrem Entstehen hat der Medientheoretiker Geert Lovink die Utopien begleitet, die der Entwicklung des Internets den Weg weisen sollten. Heute erscheint ihm die Avantgarde, die damals aufbrach, zerstreut und zerrieben. Wer kann noch die Meinungsführerschaft über das Netz beanspruchen?
Es gebe im Internet kein gemeinsames Ziel mehr, jeder gehe seiner eigenen Wege. Ein Jahrzehnt nach ihrem Auftauchen und ihrer rapiden Ausbreitung sei die Internetkultur zwischen widerstrebenden Kräften zerrissen. Wer darf sich heute zur Netzavantgarde berufen fühlen?
Google, z.B., die multinationale Firma, die wirtschaftliche Situation, Leben und Arbeiten z.B. auch an der Nationalbibliothek bestimmt, sowie deren Selbstverständnis und Darstellung als kulturelle Institution, Google als multinationaler Konzern und als gesellschaftsverändernde Kraft, wurde noch gar nicht soziologisch untersucht und in den Auswirkungen auf die nationalen Kulturen durchleuchtet.
Argumente gegen Google seien nur schwer zu
finden, gesteht Lovink. Schließlich zwingt das Unternehmen seine Dienste
niemandem auf, die Konkurrenz ist immer nur einen Klick entfernt. Für Kritik
daran fehle heute auch das Handwerkszeug. Sie beschränkt sich auf
„journalistische Beobachtungen, Ideologiekritik und Diskursanalyse“. Mit Google
als bestimmender Kraft – was kann da eine „Informationsethik“ bewirken?
Ich war sehr froh über das Buch von Geert
Lovink: Das halbwegs Soziale (2012), in dem er dazu aufruft, nicht immer wieder
über die mentalen oder moralischen Auswirkungen des Netzes auf unsere Leben zu
grübeln oder immer wieder das Schicksal der Nachrichten- und Verlags-Industrie
zu beschwören, sondern über die neu entstehenden kulturellen Logiken, wie
Echtzeit, Linking, Liking, den Aufstieg der nationalen Webs, ... nachzudenken.
Konzepte im Zusammenhang mit Netzkulturen bilden sich von innen heraus, aus dem
Try and Error heraus und nicht als abstrakte Ideen, die dann irgendwo drauf
gesetzt werden.
Aber vielleicht ist auch die Zeit, sich über
Fragen der Informationsethik – als Mitarbeiterin einer Bibliothek – den Kopf zu
zerbrechen, einfach vorbei. Die technischen Entwicklungen und die daraus
folgenden Umstrukturiereungen gehen dermaßen rasant vor sich und erzwingen ein
noch vor wenigen Jahren undenkbares Verhalten von Anpassung und Unterordnung an
und unter Kontroll- und Überwachungs-Strategien, dass der Ruf nach einem
verbindlichen Ethik-Kodex sehr unzeitgemäß und gestrig wirkt. Ein solcher Kodex
müsste ohnehin von Tag zu Tag überarbeitet und angepasst werden.
Es ist schon genug damit zu tun, den
betrieblichen Datenschutz, und die Gebarung der einzelnen Institutionen im
Hinblick auf die Gesetze zu Urheberrecht, Copyright, Überwachung, Vorratsdatenspreicherung,
zu beobachten und im Rahmen von Betriebsrat, Gewerkschaft oder Arbeiterkammer
auf Einhaltung dieser Gesetze zu pochen.
Jedenfalls vermute ich, dass meine
Ratlosigkeit und Resignation bezüglich der Fragen der Informationsethik in den letzten
Jahren nur wiederspiegelt, dass diese Resignation nicht nur mein ganz persönliches
Unvermögen ist.
Zitiert aus
Geert Lovink: Das halbwegs Soziale –
transcript 2012
Informationsethik-Seminaren von Prof. Fritz
Betz in den Jahren 2006 – 2010
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.03.2013,
Nr. 59, S. 29:
Datengeschenke sind Danaergeschenke
Bezogen auf
Michael Geists Blog (ACTA, CETA, Spyware,
Copyright, …)
quintessenz (Überwachung, Chat, Facebook, Web
2.0, Datenschutz, Liquid Democracy, Vorratsdatenspeicherung …)
DIE ZEIT,
31.10.2012 Nr. 45 Seite 003 / Politik : Ausgeschwärmt (Web 2.0 Kritik, Google…)
DIE ZEIT,
18.10.2012 Nr. 43 Seite 021 / Wirtschaft : Falsche Verbündete (Google,
Facebook, …)
Die ZEIT
Nr. 16 vom 08.04.2009 Seite 036 / Wissen : Das Denken ist frei (Heidelberger
Appell, Urheberrechte…)
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