Informationsethik: 09/2008

22 September 2008

Geheimnisvolles ACTA - Anti-Counterfeiting Trade Agreement

Auch für Bibliotheken hätte das geplante Handelsabkommen zu Copyright, Urheberrecht und Produktpiraterie wohl bedenkliche Auswirkungen. Wenn es nach den ACTA-Bestimmungen geht, sollen vor allem die Interessen der Rechte-Inhaber geschützt werden. Bibliotheken könnten in naher Zukunft den freien Zugang zu ihren Beständen bzw. zum Internet einschränken müssen und gezwungen sein, die Überwachung ihrer NutzerInnen noch mehr zu intensivieren.
Anlässlich einer öffentlichen Anhörung am 22. September haben US-Unternehmen aus der IT- und Internetbranche, Bibliotheksverbände und Bürgerrechtsorganisationen vor zu vagen Formulierungen und zu weitreichender Regulierung gewarnt. (Golem.de, Networld 24.9.08)

-->> Klageschrift EFF und Public Knowledge vs. USTR (United States Trade Representative)

100 zivilgesellschaftliche Organisationen weltweit fordern in einer Petition die sofortige Offenlegung des Entwurfs zum bisher geheim ausgehandelten Geheimabkommen ACTA gegen Produktpiraterie. Datenschützer fürchten, dass ACTA weitreichende Eingriffe in die Grundrechte der Bürger bringen wird. Die wenigen nach außen gedrungenen Dokumente wiesen darauf hin, dass Zollbeamte weitestreichende Durchsuchungsbefugnisse bekommen und Internet-Provider zur "Kooperation" mit der Medienindustrie gezwungen werden können.

"Wir fordern die Verhandler des Anti-Counterfeiting Trade Agreement [ACTA] dazu auf, den Entwurf des Abkommens sofort öffentlich zu machen, wie alle Diskussionspapiere, bevor weiterverhandelt wird." Aus Deutschland gehören das Netzwerk Freies Wissen (Berlin) und die Buko Pharma-Kampagne (Bielefeld) zu den Unterzeichnern.

Die beiden US-Bürgerrechtsorganisationen Electronic Frontier Foundation (EFF) und Public Knowledge wollen die US-Regierung gerichtlich zur Herausgabe von Informationen über das weitgehend geheim ausgehandelte Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) zwingen. Sie haben dazu eine Klage gegen die Handelsvertretung der Vereinigten Staaten eingereicht, zu deren Aufgaben die weltweite Ausweitung des Regimes geistiger Eigentumsrechte gehört
ACTA soll noch vor Ende der Regierung George W. Bush unterzeichnet werden. Die EFF hatte bereits im Juni eine Prüfung des Entwurfs gemäß "Freedom of Information Act" in Aussicht gestellt. ->> Klageschrift
Zuvor hatten auch Entwicklungsländer Front gegen ACTA gemacht und darauf gedrängt, die Arbeiten an dem geplanten multilateralen Vertrag auf eine breitere internationale Basis etwa im Rahmen der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) zu stellen. Aids-Hilfe-Organisationen von Malaysia bis Peru fürchten um die Versorgung der Entwicklungsländer mit billigen Generika, Datenschützer warnen vor einer Totalüberwachung des Internets.

Die an ACTA Beteiligten

Initiiert wurde ACTA, das außerhalb der eigentlich zuständigen Gremien Welthandelsorganisation [WTO] und WIPO [World Intellectual Property Organization] steht, von den USA, Frankreich und anderen EU-Staaten sowie Japan und Australien.

ACTA-Treffen am 11. und 22. September

Der EU-Ministerrat hat sich am 11. September dem Thema gewidmet. Die Geheimniskrämerei seitens EU- und US-Unterhändlern geht freilich weiter. Sicher ist nun aber, dass auch das Internet von den ACTA-Maßnahmen betroffen sein wird.

In den Vereinigten Staaten, die bereits 2007 anlässlich des G-7-Treffens den ACTA-Prozess anstießen, hat am 22. September um 10.00 Uhr in Washington DC ein nach Registrierung offenes Informationstreffen für Interessensgruppen über ACTA stattgefunden.

Der Entwurf zu dem Abkommen, das noch in diesem Jahr zwischen der EU, den USA und anderen Industrienationen wie Japan und Mexiko abgeschlossen werden soll, wird von den beteiligten Parteien weiterhin sorgfältig unter Verschluss gehalten.

Immerhin liegt nun seitens des Rats der Union ein Arbeitsdokument vor, das auf den 26. August 2008 datiert ist. Der eigentliche Vertragsentwurf wurde vom Rat nicht publiziert. Auch die mit den Verhandlungen betraute EU-Kommission weigert sich bisher, den Stand der Verhandlungen offenzulegen.
In Österreich federführend in Sachen ACTA ist das Wirtschaftsministerium, derzeit unter der Leitung von Martin Bartenstein [ÖVP], beteiligt sind auch Justiz- und das für den Zoll zuständige Finanzministerium.

Maßnahmen gegen Internet-Piraterie

Das Arbeitspapier des Rates ist vage formuliert. Generell fordert der Rat die Kommission und die Mitgliedsländer auf, mehr gegen Piraterie zu unternehmen. Dass dabei auch gegen die Piraterie im Web vorgegangen werden soll, wird mehrmals ausdrücklich erwähnt. Zu genauen Maßnahmen steht in dem Papier nichts.

Der Rat empfiehlt die Einrichtung eines EU-Zentrums zur Bekämpfung der Produktpiraterie. Kommission und Mitgliedsstaaten sollen für die Jahre 2009 bis 2012 einen Plan erstellen, mit dem die Zollbehörden besser für den Kampf gegen Fälschungen gerüstet werden sollen. Auch dieser Zeitplan weist darauf hin, dass ACTA schnell verabschiedet werden soll. Dazu sollen die Zollbehörden besser vernetzt und die Gesetzgebung entsprechend angepasst werden. Um das "geistige Eigentum" zu schützen, so schließt das Dokument, sollten "alle geeigneten Maßnahmen getroffen werden".

Überwachung und Zensurmaßnahmen

In dem offenen Brief weisen die NGOs darauf hin, dass bisher bekanntgewordene Dokumente von Lobbyisten-Organisationen darauf hinweisen, dass ACTA tief in die bürgerlichen Grundrechte eingreifen und Verschlechterungen bei ihrer Arbeit bringen könnte. So sei es wahrscheinlich, dass in dem Vertrag restriktive Passagen zu Patenten auf Medikamente und Software enthalten seien. Die EFF befürchtet, dass ACTA Internet-Provider dazu verpflichten könnte, ihren Datenverkehr permanent auf urheberrechtlich geschütztes Material hin zu scannen.

Was sagen die Internet-Provider?

In den USA hatten sich bereits die Fachverbände von Internet-Providern samt Branchengrößen wie AT&T, Amazon, eBay, Yahoo und anderen Internet-basierten Unternehmen gegen die Art und Weise ausgesprochen, was und wie hier verhandelt wird. Sie sehen sich der Aussicht gegenüber, durch ACTA zu Hilfspolizisten der "Rechteinhaber" zu werden.

In Frankreich versucht die Regierung von Präsident Nicolas Sarkozy gerade, ein Gesetz durchzubringen, das eine vollständige Überwachung des Internet-Verkehrs durch die Provider voraussetzt.
Bei drei Verstößen gegen Urheberrechte sollen die Netzbetreiber gezwungen werden, den Internet-Zugang des betreffenden Kunden zu sperren.

Frappierend ähnliche Passagen fanden sich auch im Telekompaket der EU, das am 2. September im Plenum des EU-Parlaments diskutiert wurde.

Ein Positionspapier des Bundes der Deutschen Industrie [BDI], das ORF.at vorliegt, tendiert in dieselbe Richtung.

Die Mauer des Schweigens

ORF.at hat im Wirtschaftsministerium umgehend und mehrfach nachgefragt, was in dem Abkommmen, das nach Angaben der Beteiligten noch heuer beschlossen werden soll, denn eigentlich enthalten sei. Eine parlamentarische Anfrage des Abgeordneten Johann Maier an das Justizministerium mit der Auskunft beantwortet, dass bei ACTA dass Wirtschaftsministerium federführend sei.

Eine Antwort des Wirtschaftsministeriums blieb bis dato aus, auf Anfragen an die EU-Kommission, die österreichische Industriellenvereinigung, den Bund Deutscher Industrie, den EU-Datenschutzbeauftragten Peter Hustinx und EU-Ombudsmann Nikiforos Diamandouros gab es ebenfalls keine Reaktion.

Seitens der EU-Kommission wurde regelmäßig wie stereotyp versichert, es sei noch kein Abkommenstext vorhanden, auch alle anderen Beteiligten schweigen sich nachhaltig aus.

ORF online; ORF futurezone
http://www.orf.at/?href=http%3A%2F%2Fwww.orf.at%2Fticker%2F302619.html

Heise Newsticker
http://www.heise.de/newsticker/Protest-gegen-Anti-Piraterieabkommen-ACTA--/meldung/116095

http://www.eff.org/issues/acta

http://www.eff.org/files/filenode/EFF_PK_v_USTR/USTRcomplaint.pdf - Klageschrift

How ACTA kills your job

ACTA: Aufruf zum Handelskrieg gegen Entwicklungsländer

Arguments against ACTA - Anti-Counterfeiting Trade Agreement