Informationsethik: Surveillance studies - Überwachung

02 März 2010

Surveillance studies - Überwachung

Informationsethik ÖNB Brainpool-Seminar mit Dr. Fritz Betz am 23. November 2009

Prof. Betz hat dieses Mal den Focus der KursteilnehmerInnen im speziellen auf das Thema Surveillance – Überwachung gelenkt und von allgemein soziologischen, juristischen und ethischen Überlegungen ausgehend zur Bedeutung für Bibliotheken im besonderen geleitet.

Das Thema Kontrolle, Überwachung, der damit verbundene Paternalismus der Institutionen hinter den Kontrolloren und Datensammlern scheint zum Hauptthema der Informationsethik zu werden.

Auch im Bibliotheken-Bereich erfordert die Situation mittlerweile klare Stellungnahmen und verantwortungsbewusstes Handeln über rein philosophische Reflexionen bzw. gehorsam stillschweigendes Ausführen gesetzlicher Vorgaben hinaus.

Die Grundsätze jeder Informationsethik, auf die sich in allen spezifischen Codices und Kanons finden, sind die Forderungen nach

Freiheit der Rede
Freiheit des gedruckten Wortes (Pressefreiheit)
Freiheit des Zugangs zu Information
Recht auf Schutz der Privatsphäre
Recht auf Schutz des (geistigen) Eigentums

Die beiden informationsethischen Generalthemen sind also Access und Privacy - wobei die Gewichtung in letzter Zeit vor allem in Richtung Privacy und deren Schutz geht.

Das Recht auf Privatheit, die Trennung von der öffentlichen Sphäre hatte früher räumliche Bedeutung. Der Mensch trat in der Öffentlichkeit anders auf, als in seinem Zuhause. Beruf und Freizeit, Öffentlichkeit und Intimität waren in vieler Hinsicht Antagonismen während heute der Schutz der Privatsphäre weniger den bestimmten räumlichen Ort meint, sondern den Schutz vor Zugriff auf virtuelle Daten persönlicher Art bedeutet.

Demokratie braucht Privatsphäre und deren Schutz. Privatsphäre bedeutet Autonomie des Individuums, Handlungsfreiheit, Schutz vor Willkür und ist unumgänglich für die Entwicklung einer persönlichen Identität in der Differenz zum anderen.

Im „Volkszählungsurteil“ (1983) des Dt. Bundesverfassungsgerichts wird das grundsätzliche Recht des Einzelnen über Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen, festgestellt.

Nach österreichischem Datenschutzgesetz sind besonders schutzwürdige Daten:
personenbezogene und „sensible“ Daten. Der Datenschutz ist bei uns allerdings weniger gesetzlich verankert als in der BRD, denn das Gesetz schränkt ein: …“sofern ein schutzwürdiges Interesse besteht“…

Die Bibliothek nun ist zugleich Objekt und Subjekt in Bezug auf Information und Kommunikation:

als Objekt des Verlangens nach NutzerInnen-Daten
als Nutzerin und Erfinderin von Suchmaschinen, Akteurin im Data mining, …
als Provider für Online Server digitaler Objekte, Katalogisierungsdaten, MitarbeiterInnen- Daten …
als überwachendes Subjekt durch die Entlehnsysteme, Mediensicherung, Videoüberwachung, Filtern von Websites …

All diese Dinge haben Auswirkungen auf die Privatsphäre von NutzerInnen und BearbeiterInnen sowie deren Zugang zu Information.

Da über das genaue Ausmaß von Überwachung und Zensur in Bibliotheken keine Transparenz besteht, wird ihr Ausmaß möglicherweise überschätzt und die Unsicherheit führt ev. zu einer freiwilligen Selbstzensur, die wieder als Ausschließungsmechanismus von Information wirkt – was genau im Widerspruch zum Grundgedanken des Zwecks einer öffentlichen Bibliothek steht.

Überwachung – Thematik, Gesetze und Abkommen:

Gesetz zur Neuregelung von Telekommunikationsüberwachung
Terrorismuspräventionsgesetz 2010
EU-Richtlinie zur (anlasslosen) Vorratsdatenspeicherung
ACTA
Produkt- und Marken-Piraterie
WIPO, Copyright, Urheberschutz, Digitalisierung

Überwachung hat mit Macht und Herrschaft, Kontrolle und Disziplin zu tun.
Überwachung (nach Lyon: Surveillance society, 2001) sei die
"Beobachtung der Handlungen anderer zum Zweck der Kontrolle" (zur Steuerung der Handlungen anderer)

Herrschaft wird ausgeübt durch Befehle, die Gehorsam bei einer großen Vielzahl der Menschen finden.

Von frühen Überwachungs- und Kontrollszenarien z.B. durch absolute Regimes, oder zu Zeiten von Epidemien wie der Pest, zu Beginn des Entstehens der Lohnarbeit zur Disziplinierung in Manufakturen und Fabriken bis hin zur Einführung von „Monitoring“-Techniken in den 70er Jahren, bei der Vergabe von Krediten oder Beihilfen finden sich heute „polymorphe Überwachungsszenarien durch AkteurInnen im global operierendem informationellen Kapitalismus.“

Es gilt eine Lösung für die Antagonismen zu finden, die sich aus
einerseits:
dem Bedürfnis nach Sicherheit und Effizienz der Verteilung von Gütern
und andrerseits:
aus dem Bedürfnis nach Schutz der Persönlichkeitsrechte, vor persönlicher Enteignung, dem Bedürfnis nach demokratischer Pluralität, gegen die Verschärfung der sozialen Gegensätze und der Entstehung von marginalisierten Gesellschaftsgruppen (Risikopopulationen)
ergeben.

Betz weist - auf Foucault verweisend – auf eine grundlegende Änderung in der Gesellschaftsstruktur hin: von der Disziplinargesellschaft zur modernen Kontrollgesellschaft.

Die Kontroll-Macht übt nicht mehr Repression aus, um mehr Produktivität und gesellschaftlichen Fortschritt zu erzielen – auf die angebliche Utopie einer ständigen „Verbesserung“ des Lebens „für alle“ zielend.

Sie erscheint vielmehr anonym und unsichtbar und unmerklich und ist deshalb als Kontrolle und Disziplinierung schwer erkennbar. Das Sammeln der Daten ist zum Großteil ein Nebeneffekt der Technologie und geschieht selbstverständlich und ohne bestimmten Anlass. Wer dann wann diese Daten verwendet, filtert, rastert und zu welchem Zweck ist von Anfang an nicht vorgegeben.
Die Kontrollgesellschaft besteht aus „offenen Milieus“ – die aus der Vernetzung in Plattformen, den diversen Intranets, in „Kommunikationslandschaften“, lebenslanges Lernen, Governance, ... entstehen.

Literatur

Negri und die Kontrollgesellschaft

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