Informationsethik: Vorratsdatenspeicherung - die Richtlinie und die Bibliotheken

28 November 2007

Vorratsdatenspeicherung - die Richtlinie und die Bibliotheken

von Michael Bracsevits

Pressereaktionen Österreich:
Höchstrichter schlagen Alarm - Salzburger Nachrichten
Big Brother surft im Internet - Kleine Zeitung
Mehr Klarheit bei Datenspeicherung - Wiener Zeitung

Reaktionen zum Thema in Deutschland :
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Vorratsdaten: Größte Verfassungsbeschwerde aller Zeiten

Die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung wurde schon am 14.12.2005 im Europäischen Parlament mit einer deutlichen Mehrheit beschlossen. Auch viele die heute nicht mehr dabei gewesen sein wollen, haben zugestimmt. Aus Österreich waren alle Abgeordneten dafür, ausgenommen die der Grünen, eine Pro Stimme gab unter anderem auch die jetzige Justizministerin Maria Berger ab. Geschlossen dagegen war europaweit gesehen nur die Europäische Linkspartei.

Was regelt die Richtlinie konkret

Es geht knapp gesagt darum, dass in Hinkunft alle Verbindungsdaten moderner Kommunikationsmittel wie Internet, E-Mail, Telefonie und SMS präventiv innerhalb der europäischen Union erfasst und gespeichert werden und im Falle des Verdachts einer strafbaren Handlung an die ermittelnden Behörden weiterzugeben sind.

Zuständig für die Speicherung sind die „Provider“ bzw. die Telekommunikationsanbieter, selbige können diese Verpflichtungen natürlich unter Einhaltung datenschutzrechtlicher und anderer Bestimmungen auslagern, haften aber für die korrekte Erfassung und zur Verfügungsstellung.

Wie muss man sich das vorstellen

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen mit zwanzig Personen in einem Vortragsraum, die meisten werden ein Handy eingesteckt haben, wenn auch hoffentlich auf „lautlos“ geschaltet.

Trotzdem ist eine Peilung jederzeit möglich, das heißt, man kann die versammelten Personen in eine Beziehung miteinander setzen. Ob das eine zufällige Begegnung war oder ein konspiratives Treffen, ist dabei sekundär. Die Tatsache, dass also Handy A in unmittelbarer Nähe zu Handy B war, wird nunmehr gespeichert, auch wenn keinerlei Kommunikation zwischen den Geräten stattgefunden hat.

Das bedeutet im Grunde genommen, dass man in Zukunft vorsichtig sein sollte, bei wem man sich beispielsweise in einem Gasthaus dazusetzt - sollte es sich um Terroristen, Wirtschaftskriminelle oder andere (vielleicht später einmal) Verdächtige handeln, muss man möglicherweise Monate danach Auskunft darüber geben, warum man mit diesen Menschen in Kontakt war.

Des Weiteren werden alle konkreten Telefonverbindungen erfasst, also alle Anrufe, aber auch die Anrufversuche sowie das Versenden und Empfangen von SMS oder anderen vergleichbaren Diensten. Auch Multimedia-Anwendungen fallen unter die Speicherpflicht. Wer also über das Handy fernsieht, Bilder schickt, Lotto spielt, einen Parkschein bezahlt oder sich, wie jetzt ja möglich, eine Fahrkarte bei der Bundesbahn kauft, wird registriert.

Der Bezug zur Internetnutzung ist bereits in dieser Phase gegeben, jedes Telefonat, das über das Netz geführt wird, muss gespeichert werden, auch in Bibliotheken, die freien Zugang zum WWW gewähren. Vor allem ist die Grenze zwischen „normaler“ Nutzung und „Kommunikation“ praktisch kaum zu ziehen und auch nicht zu kontrollieren.

Jeder Fall von Internetnutzung sollte längerfristig eindeutig auf die nutzende Person rückverfolgbar sein, ungeachtet was der Grund für die Nutzung war, es gibt keine Ausnahmen für wissenschaftliche Recherchen, den Schulbereich oder ähnliches.

Diese Verbindungsdaten wurden natürlich auch bereits jetzt für eine gewisse Zeit festgehalten, wenn es um kostenpflichtige Angebote ging, um eine korrekte Vollziehung der Abrechung und eine angemessene Reklamationsfrist für den Kunden zu gewährleisten.

Anschließend mussten diese Daten aber gelöscht werden, die Fristen dafür waren bisher dafür (europaweit) völlig uneinheitlich.

Die Umsetzung der Richtlinie in Österreich

Die Richtlinie – hier im Volltext - trägt den Namen:
„Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden.“

Durchgesetzt haben sich mittlerweile unterschiedliche umgangssprachliche Bezeichnungen dafür, vorwiegend eben der Begriff Vorratsdatenspeicher­richtlinie, aber auch als Spitzelrichtlinie ist sie bekannt.

Festzuhalten ist, dass die Richtlinie faktisch zweigeteilt ist, in Telefon- und Internetbereich. Ersterer sollte bereits umgesetzt sein, für den zweiten bleibt noch eine gewisse Frist, anzunehmen ist aber, dass bis zum Ende des nächsten Jahres, also 2008, beides auch auf nationaler Ebene Gesetzeskraft erlangen wird. Auf europäischer Ebene ist das ja bereits der Fall.

Der Hintergrund für diese (scheinbar) überzogenen Maßnahmen liegt einerseits an der Zunahme von Taten, die mit Hilfe des Internets begangen werden und anderseits daran, dass man durch die erweiterten Ermittlungsmöglichkeiten hofft, terroristische Aktionen und Großkriminalität in Hinkunft verhindern oder leichter aufklären zu können.

Eine der letzten Initialzündungen für die Richtlinie, waren unter anderem die schweren Anschläge auf öffentliche Verkehrsmittel in London im Jahre 2005.
Geplant war sie aber bereits viel länger.

Die einzelnen Mitgliedsstaaten hatten bei der Auslegung auf nationaler Ebene gewisse Spielräume, z.B. was die Dauer der Datenspeicherung betrifft und für welche (potentiellen) Taten eine Herausgabe an die ermittelnden Behörden verpflichtend wird. In Österreich werden nach dem bisher vorliegenden Gesetzesentwurf alle Telefondaten sechs Monate gespeichert werden müssen. Dabei handelt es sich um die Untergrenze die die Richtlinie gestattet.

Erst die nächsten Jahre werden zeigen, welche Auswirkungen für den Einzelnen und auf öffentliche Stellen bzw. auch Unternehmen konkret auftreten werden. Faktum ist aber schon jetzt, dass die Internetnutzung nie wieder so sein wird, wie man sich das heute noch vorstellt. Denn in Wirklichkeit hat es eine anonyme Nutzung ohnehin nie gegeben, auch wenn das viele Menschen immer noch glauben.

Auch viele „Mitverantwortliche“, die in die Entwicklung der Richtlinie einbezogen waren, waren bereits im Vorfeld, also sobald ein Gesetzesentwurf in Österreich vorlag, überrascht von den auftretenden Problemen und Widerständen.

Einerseits tauchen technische und organisatorische Fragen auf, vor allem aber kommt eine noch kaum zu ermessende Kostenlawine auf die befassten Institutionen zu, die logischerweise jeder abwälzen möchte.

Die Telekommunikationsunternehmen und Provider hoffen, alle zusätzlichen Belastungen an „den Staat“ weitergeben zu können, der Unterschied für die Bevölkerung dürfte sich in Grenzen halten, zahlen wird die Öffentlichkeit, sei es über höhere Preise für die Nutzung von Kommunikationsmitteln oder über die Steuerlast.

Die Schätzungen über die Höhe der Belastungen sind sehr unterschiedlich und seriös noch kaum zu beziffern, europaweit aber sicherlich astronomisch. Der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco schätzt sie alleine für Deutschland auf 205 Millionen Euro. Dazu kommen laut eco laufende Kosten für Abschreibung und Betrieb der Überwachungsanlagen von mindestens 50 Millionen Euro pro Jahr, siehe z.B. dazu den Heise Newsticker vom 18.09.2007

Dazu kommen viele offene Fragen, die jetzt schon zeigen, dass es längerfristig weitere Verschärfungen geben „muss“, wenn das Ganze einen Sinn ergeben soll. Unklar ist unter anderem:
- wie es möglich sein soll, aus diesen ungeheuren Datenmengen effizient einen potentiellen Straftäter ausfindig zu machen
- wie mit Wertkartentelefonen umzugehen ist
- was mit anonymen Internetzugängen konkret passieren soll
- vor allem aber auch, warum präventiv faktisch alle Bürger und Bürgerinnen der Europäischen Union überwacht werden, aber z.B. ein Nutzer eines Mobiltelefons das im Oman registriert ist und der gerade in Paris in einem Café sitzt, völlig unbehelligt mit einer zweiten Person telefonieren könnte, die am Trafalgar Square steht und ein in Mexiko angemeldetes Handy nutzt.

Außerdem hat sich ja bereits immer wieder gezeigt, dass die „beste“ Überwachung nichts nutzt, wenn das Personal oder das „Know-how“ dafür nicht vorhanden sind, die ermittelten Daten auszuwerten, das zieht sich von 09-11 bis zu vielen andern aus dem Medien bekannten Taten.

Klar ist aber natürlich auch, dass das Internet und auch alle anderen Formen der modernen Kommunikation massiv vom organisierten Verbrechen und terroristischen Fanatikern genutzt und unterwandert werden und die Polizei und andere ermittelnden Behörden hier nachziehen müssen, um nicht vollends in das Hintertreffen zu geraten.

Man muss auch kein Illuminat sein und schon gar nicht Freund der Bush Administration oder der harten Linie des deutschen Innenministers Schäuble, um zu sehen, dass sich im Zusammenhang mit dem Internet vieles zusammenbraut. Und zwar von vielen Seiten:
- sieht man Leute wie den Geheimdienstdirektor des Energie-Ressorts der US-Regierung Rolf Mowatt-Larssen, der ständig wirkt und spricht als käme er gerade von der Abhaltung eines Exorzismus zurück und der den Teufel nicht mehr an die Wand malen muss, weil er ihn sicher schon gesehen hat und der in seinen Berichten ohne Umschweife festhält wie sehr „das Internet“ unterwandert ist

- betrachtet man nur ein wenig die unglaubliche Manipulation, die täglich im WWW passiert und die faktisch eine neue Vergangenheit schafft

- oder wenn man Zeuge wird, wie ungeniert viele der großen „Player“ im Internet undurchsichtige Interessen verfolgen, so kann man sogar nur hoffen, dass Wege gefunden werden, eines Tages möglichst viel von all dem aufklären zu können was heute bewusst oder unbewusst verschleiert, verändert und vernichtet wird!
Was die Überwachung betrifft, so passierte hier bisher sehr viel in einer Grauzone, auch jetzt schon gelang es immer wieder z.B. im Bereich der Kinderpornographie, bei verbotenen politischen Aktivitäten oder im Falle organisierter Kriminalität – auch noch nach längerer Zeit - Täter durch Online-Ermittlungen auszuforschen.

Es kommt also in gewisser Hinsicht bei diesen Dingen nunmehr nur zu einer Legalisierung von ohnehin bereits in Verwendung stehenden Instrumenten.

Eine der ganz großen offenen Fragen ist aber sicherlich die, für welche konkreten geplanten oder auch bereits vollzogenen Taten diese gesammelten Erkenntnisse verwendet werden dürfen. Erst wenn eine Straftat mit einer gewissen Strafhöhe bemessen wird, soll es zu einer verpflichtenden Herausgabe kommen. Diese Höhe wird in Europa wieder völlig unterschiedlich angesetzt. Generell spricht man aber davon, dass bei Bagatelldelikten keine Möglichkeit bestehen soll, auf die „Vorratsdaten“ zuzugreifen.

Diese Auslegung lässt aber viel Spielraum, außerdem wecken vorhandene Daten immer Begehrlichkeiten. Weiters besteht die Gefahr, dass man faktisch nebenbei auf etwas stößt, das dann doch verwertet werden wird, vor allem aber ist ein Missbrauch zu befürchten, denn die Kontrolle der Zugriffe wird, wie vergleichbare Fälle zeigen, sehr schwierig und komplex werden. Und Datenhandel ist ein sehr lukratives Geschäft.
Dazu kommen Neuerungen wie der „Europäische Haftbefehl“, der dazu führt, dass es selbst bei Taten, die in den verschiedenen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union völlig unterschiedlich bewertet werden, zu Auslieferungen kommen kann, und eine zunehmende Verlagerung mancher Delikte vom Zivil- ins Strafrecht, letzteres gilt speziell auch für das Urheberrecht und damit verwandte Bereiche.
Anzuführen ist dazu z.B. die IPRED 2 Direktive, in der eine Verschiebung geistiger Eigentumsrechte vom Zivil- ins Strafrecht angedacht wird. Dazu bei Heise mehr.
Viele der großen Interessensorganisationen zum Schutze von Verwertungsrechten wünschen sich demgemäß natürlich auch, dass speziell auch für ihre Anfragen ein Zugriff auf die Verbindungsdaten möglich sein sollte, in Österreich tun dies beispielsweise die Austro Mechana und der Verein Antipiraterie. Sie fordern daher sogar eine Verschärfung gegenüber der bisher geplanten Praxis. Womit dann auch zum zweiten Mal die Bibliotheken ins Spiel kommen, denn kaum woanders wird so häufig gegen das Urheberrecht verstoßen wie im Bibliotheks- und im gesamten Bildungsbereich.

Es ist festzuhalten, dass noch keine verbindliche Aussage gemacht werden kann, wann konkret die beiden Gesetze in Österreich in Kraft treten werden, wie die Umsetzung genau ablaufen soll und wer konkret für welche organisatorischen, rechtlichen und sonstigen Maßnahmen haftet, aber man sollte bereits massiv darüber nach zu denken beginnen, wer die Speicherung der Tausenden von Daten übernehmen wird, die täglich beispielsweise in einer Universitätsbibliothek anfallen. Auch Universitäten sind beispielsweise Provider, wie manche große Unternehmen, und damit für die Einhaltung der betreffenden Gesetze haftbar.

Konkrete Auswirkungen im Bibliotheksbereich

In Bibliotheken und überall sonst, wo Personen der Zugang ins Internet ermöglicht wird, sollten insbesondere Maßnahmen überlegt werden, die sicherstellen, dass innerhalb der vorgegebenen Speicherfristen jederzeit eine, auch nachträgliche, eindeutige Identifizierung eines „Nutzers“ möglich ist.
Es sollte also nachvollzogen werden können, wer wann konkret welche Dinge im Internet betrachtet, gesucht oder heruntergeladen hat. Dort wo (noch) anonymes Surfen scheinbar möglich ist, wird es längerfristig zu einer Ausweispflicht kommen, in Italien hat man bereits im Rahmen des Antiterrorgesetzes vorgeschrieben, dass (theoretisch) sogar kleinste Internet-Cafés 2 Jahre lang alle Besucher-Daten archivieren müssen.

Um eines aber noch einmal klarzustellen, die Richtlinie verpflichtet „nur“ die Verbindungsdaten - nicht aber die Inhalte - zu speichern, sprich User A ruft Seite X im Internet um 11.22 Uhr auf und verweilt dort acht Minuten, schreibt eine E-Mail über Hotmail, ladet Software XY herunter usw.

Erforderlich wird generell ein sensiblerer Umgang mit dem Internet sein, jedem sollte klar sein:
• dass er niemals jemand anderen mit seiner Kennung arbeiten lassen sollte, weil er ansonsten für allfällige, vielleicht auch zufällige oder unbewusst entstehende Schäden zur Verantwortung gezogen werden könnte
• dass nichts im Internet geheim bleibt, sondern jede einzelne Aktivität lange später noch nachvollzogen werden kann (und wird!!)
• dass abseits von zivil- und/oder strafrechtlichen Folgen Dinge, die man heute ohne weiter darüber nachzudenken über sich im Internet preisgibt, später - z.B. bei der Berufswahl - massive Auswirkungen haben könnten
• dass eine nicht korrekte und nachvollziehbare Speicherung der Vorratsdaten eine Gesetzesübertretung darstellt, die dienst-, verwaltungsrechtliche und weit darüber hinaus gehende Auswirkungen haben kann.

Für die NetzwerkadministratorInnen bedeutet diese Entwicklung, dass die Verantwortlichkeiten in ihrem Zuständigkeitsbereich zu klären und sicherzustellen sind, dass alle Haftungsfragen vorab geklärt werden müssen, dass von den Nutzern weitreichende Verpflichtungserklärungen vorliegen sollten, die auch die Zustimmung zur Weitergabe von Daten beinhalten – und zwar auf eine Weise, die unmissverständlich klar macht „wir überwachen hier“ !
Bereits im Vorfeld sollte innerhalb einer Organisation festgelegt werden, wer unter welchen Umständen für die Speicherung, die „Wartung“, die Überwachung der Überwachung und die Herausgabe der Daten (an wen?) zuständig ist.

Zu befürchten ist allerdings, dass auch in dieser Frage – wie schon in vergleichbaren Angelegenheiten - Ahnungslosigkeit und Blauäugigkeit im ministeriellen Umfeld herrscht und verhindert, dass jetzt - zum richtigen Zeitpunkt - Vorgaben und notwendigen Mittel fehlen, die nötig wären, selbst lediglich organisatorisch eine korrekte Umsetzung dieser Richtlinie zu ermöglichen.

Daher wird im schlimmsten Fall wieder einmal viel an den einzelnen Dienststellen hängen bleiben und die Gefahr, dass es einmal einen völlig unschuldigen Administrator „erwischt“, wenn Daten die man später einmal als „wichtig“ einstuft, verschwunden sind, ist groß.
Ergänzend ist vielleicht noch anzumerken, dass natürlich auch schon bisher praktisch jede Internetaktivität nachvollzogen werden konnte, rein als Exkurs sei hier der doch sehr heitere Fall des niederländischen Königshauses erwähnt, das mit einem Eintrag in Wikipedia unzufrieden war, und von einer „Palastadresse“ aus versuchte, diesen mehrmals zu korrigieren, siehe dazu einen Artikel im Onlinestandard

Besonders bedenklich werden alle diese „neuen“ Möglichkeiten der „legalen Spionage“ allerdings natürlich dort, wo bisher absoluter Geheimnisschutz sogar gesetzlich vorgeschrieben war, wie bei der Kontaktaufnahme mit Anwälten oder auch im journalistischen Bereich.
Außerdem lässt natürlich, auch ohne inhaltliche Speicherung, allein das Aufrufen einer Internetseite Rückschlüsse zu, z.B. wenn man über eine Krankheit recherchiert oder politische Daten sucht.

Die Datenschützer sind auf jeden Fall jetzt schon die großen Verlierer und es ist zu befürchten, dass das auch auf lange Sicht so bleibt. Insbesondere weil das Bewusstsein für die Auswirkungen kaum in der Bevölkerung verankert ist und eher die Ansicht vorherrscht „wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten“.

Zieht man aber die bisherigen Erfahrungen, z.B. im Zusammenhang mit dem „großen Lauschangriff“ heran, so zeigt sich, dass in der Hälfte der Fälle schlichtweg Unschuldige überwacht wurden. Je nachdem kann man diese Quote als Erfolg oder massiven Eingriff in die Grundrechte auslegen, dazu der Österreichische Rechtsschutzbeauftragte Gottfried Strasser: „Seit Einführung Ende der 90er-Jahre gab es ein knappes Dutzend großer Lauschangriffe. Die "Erfolgsquote" liegt bei 50 Prozent: Erfolg bewerte ich dahin, dass es in diesen Fällen zu Anklageerhebungen und rechtskräftigen Verurteilungen gekommen ist, teils auch zu vieljährigen Haftstrafen" Siehe dazu einen Artikel in der News Networld.

Anders ausgedrückt bedeutet das aber, dass die Hälfte der Betroffenen umsonst von der Behörde „ausgezogen“ wurden, denn so könnte man etwas überspitzt die Zukunft der Internetnutzung beschreiben, ein permanenter Strip vor wildfremden Leuten.
Und, dass die für die meisten Maßnahmen notwendige „richterliche Genehmigung“ auch mit Vorsicht zu betrachten ist, gibt z.B. sehr gut in einem „Quergeschrieben“ in der Presse Kurt Scholz zu bedenken. Hier der Text in der Presse Online.

Klar zu sagen ist aber natürlich auch hier wieder, dass nunmehr endlich bessere (und legale) Instrumente zur Bekämpfung von Internetkriminalität zur Verfügung stehen.
Wenn tatsächlich dann auch noch tausende Menschenleben gerettet werden, weil in Zukunft Anschläge nicht nur aufgeklärt, sondern sogar vorab verhindert werden können, wird die Stimme der „Protestierer“ und der Personen, die die Aufgabe lange erkämpfter Rechte kritisieren, sicher leiser werden und kaum mehr gehört werden. Das Abwägen, was mehr zählt, wird (zu Recht) aber sicherlich ein Dauerthema bleiben.

Ob es in Zukunft möglich bleiben wird, in den Staaten Europas mit ihren demokratischen Verfassungen und ihren Bürgerrechtscodices, in Bibliotheken einfach ganz anonym Bücher zu „lesen“
- wenn man sie vorher nicht im Onlinekatalog gesucht hat
- sie nicht über das Internet bestellt hat
- und sie nicht nur online vorliegen
ist die Frage. Kleiner Denkanstoss: der Traum aller „E-Fans“, dass praktisch alles elektronisch im Netz lesbar sein sollte, am besten unter einer dauerhaften URL, führt nun als Nebeneffekt dazu, dass praktisch jeder, dens interessiert noch Jahre später wissen wird, was wer wann gelesen hat. Metternich würde staunen, was Bibliotheken als Erfüllungsgehilfen vermögen.)
Bleibt also nur, gezielt nur mehr die Werke in die Hand zu nehmen, die Freihand aufgestellt sind - vorausgesetzt zwischen den Regalen sind keine Überwachungskameras angebracht.

Jedes totalitäre Regime weiß, dass Bibliotheken gefährliche Brutstätten des Geistes und somit von Kritik und Widerstand sind und erste Maßnahmen solcher Regimes sind immer Räumungen und Säuberungen von Bibliotheken.

Auch in Österreich gerieten Bibliotheken ja immer wieder auch in jüngerer Zeit in das Spannungsfeld zwischen berechtigtem Geheimnisschutz und polizeilichen Ermittlungen, beispielsweise damals, als „Briefbomber“ Franz Fuchs Anregungen für seine wirren Ergüsse aus entlehnten Büchern bezog.

Kleines Internet-Brevier

- größte Vorsicht bei der Internetnutzung. Unbedarftes Suchen kann Ihre Zukunft gefährden.
- „Nichts“ glauben, was im Netz zu finden ist, ohne den gesunden Menschenverstand einzuschalten und immer wieder „gegen“ zu recherchieren bevor man etwas für wahr hält
- Die Speicherung von Daten hat nicht der Staat oder die EU „erfunden“, wenn Sie bei Google vor drei Jahren etwas gesucht haben, wird das noch lange nachvollziehbar sein. Aus ganz undurchsichtigen Gründen speichert man dort alle Anfragen bis 2038! Nach Protesten von Datenschützern und anderen Organisationen vor allem in den USA soll in Hinkunft aber nur mehr 18 Monate gespeichert werden, was wer wann wissen wollte. Google kann mit Sicherheit jetzt schon als der größte Speicher von persönlichen Daten in der Geschichte der Menschheit bezeichnet werden. Und es ist völlig unklar, was damit passiert.
- Vieles, was uns heute vielleicht immer noch wie Science Fiction erscheint, sickert zusehends in den Alltag ein, siehe z.B. in Amerika das Implementieren von RFID Chips unter der Haut von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in Unternehmen. Dazu finden sich mittlerweile viele Berichte im Netz z.B. einer bei Heise, einer verlässlichen Quelle
- Auch an der Entwicklung des „optimierten Mitarbeiters“ wird gearbeitet: Mit Hilfe von Infrarotstrahlen wird die freie geistige Kapazität im Gehirn festgestellt, um ihm bei elektromagnetischen Anzeichen von Entspannung mehr Arbeit zuzuweisen. Dazu ein kurzer Beitrag : Computer optimiert Mitarbeiter in der Wiener Zeitung
- Die Vorratsdatenspeicherung ist nur ein Anfang, weitere Maßnahmen stehen bevor, zu erwähnen sind z.B. die so genannten Bundestrojaner, also das Einschleusen von Überwachungssoftware durch ermittelnde Behörden, ohne dass der betreffende User das merkt, oder die Internetzensur, die man bisher nur aus Staaten wie China kannte und, die nun auch verstärkt in Europa gefordert wird.

Der vielleicht nicht offensichtliche Zusammenhang ist der, dass mittlerweile die Freiheitseinschränkung dort am besten funktioniert, wo man sie noch vor ein paar Jahren am wenigsten vermutet hat, fast alles passiert direkt oder indirekt über „das Netz“.
Geblieben ist also als eine der größten Freiheiten, die noch vorstellbar sind, einfach Bücher zu lesen, gedruckte wohlgemerkt. Und auch wenn das vielen heute noch nicht klar ist: es ist schwerer ein altes gedrucktes Buch zu fälschen (wie man ja schon oft erlebt hat), als ein digitalisiertes.

Bleibt also nur, sich das Internet nicht vermiesen zu lassen, wobei aber die Flucht in Parallelwelten auch nicht wirklich möglich ist, denn gerade Second Life und Co werden mittlerweile streng überwacht und selbst virtuelle Straftaten darin sollen verfolgbar werden. Wenn also Ihr Avatar in Second Life eine Bank überfällt, könnte man Ihnen kriminelle Energie unterstellen und es wird ernsthaft darüber diskutiert, ob virtueller Sex mit einem Furry (für nicht so Internet-Beschlagene, das sind meist pelzige Wesen, die sich im Netz herumtreiben) unter das Sodomiegesetz fällt. Mehr dazu: ein guter Überblick zum Recht in Zweitwelten: Rechtsfragen in und um Second life

Nie zuvor wurden gleichzeitig so viele Menschen präventiv ausspioniert wie jetzt. Geheimdienste und Diktaturen mussten sich bis vor kurzem schwerfälliger Mittel bedienen, heute liefern wir selbst ganz demokratisch alle Daten bereitwillig ab.

In manchen Kommentaren zum Thema Vorratsdatenspeicherrichtlinie wird der Polizei mittlerweile vorgeschlagen, sie soll doch die Kosten für die Speicherung durch Einrichtungen wie ein persönliches Erinnerungsservice wieder einspielen, in dem sie uns gegen Entgelt alles zur Verfügung stellt, was wir bereits wieder vergessen haben.So ein Service könnte z.B. helfen, welchen Lokal man vor fünf Monaten so gut gegessen habt und mit wem man eigentlich dort war ….

Zum Abschluss noch ein pessimistisches Zitat des Regisseurs George A. Romeros, der zur Situation des Internets 2008 meint:„Ich war Medien gegenüber immer schon kritisch eingestellt, vor allem wegen der Gefahr, die von Manipulationen ausgeht. Jetzt bereitet es mir große Sorgen, wenn ich sehe wie meine Kinder mit dem Internet umgehen, es ist sehr einfach zu lügen und es ist sehr einfach für jemanden mit einer irren Idee, plötzlich Millionen von Menschen hinter sich zu haben.“
Interview: George A. Romero: „Wir selbst sind die Zombies!“

Über den Autor:
Michael Bracsevits war lange Jahre Bibliotheksleiter, ist unverändert Bibliothekar aus Leidenschaft, Experte für die Informations- und Dokumentenbeschaffung aus allen Wissenssparten, Rechercheur, Provenienzforscher, Profi in Wirtschafts- und Juristischen Ermittlungen, Bücherjäger, Spezialist für die Entwicklung und alle Anwendungen des Internets, Lehrbeauftragter und Referent.
Michael Bracsevits Bibliothekar / Information Broker / Bücherjäger
Mailto:bracsevits@net-traininigs.at und mailto:bracsevits@mail.com